Un de Zwetter han ich net gebraucht
Samstag, 9. Juli, 4.30 Uhr, Augsburg. Wir stehen auf dem Parkplatz und warten auf den Reisebus, der uns mitnehmen soll in das große Abenteuer Eisenbahn und Weltkulturerbe in Nordrumänien. Mein Bruder Manfred, mein Mann Sigi und ich wollen mit Sigis Kusine und deren Mann, der die Reise auch organisiert hat, in die Maramuresch, in die Bukowina und nach Siebenbürgen. Während ich noch überlege, ob ich auch wirklich alles Wichtige dabei habe, also auch einen „Zwetter“ für eventuell kühlere Temperaturen, kommt der Bus und wir steigen voller Vorfreude ein.
Wir fahren über Linz und Wien nach Ungarn bis nach Eger, das ehemalige Erlau, unsere erste Station. Am nächsten Morgen machen wir bei schönstem Sonnenschein einen Stadtrundgang. Erlau ist ein schönes, kleines k.u.k.-Städtchen. Es wurde wieder schön hergerichtet und erinnert in seiner Struktur und im Baustil an die anderen Städte der österreichisch-ungarischen Monarchie, die wir auf den Spuren der Habsburger bereits besichtigt haben: Temeschwar, Preßburg, Novi Sad, Pecs und viele andere mehr.
Am Nachmittag fahren wir nach Lillafüred ins Bükkgebirge. Wer an Ungarn denkt, denkt an die Tiefebene und an die Puszta und eigentlich denke ich dabei immer auch an Billed. Doch, dass es auch ein Gebirge in Ungarn gibt, ist uns nicht so bewusst.
Nachdem wir Palatschinken gegessen haben, fahren wir mit der Schmalspurbahn eine idyllische Strecke durch den Wald und wieder zurück. Auf dieser Reise werden wir mit drei Eisenbahnen fahren, eine in Ungarn und zwei in Rumänien.
Am Bahnhof in Lillafüred haben wir noch Zeit für einen Langosch, der wirklich gut war und fast so wie daheim geschmeckt hat.
Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Rumänien und bei Satu Mare über die Grenze. Dort erwartet uns unser Reiseleiter Terry, der perfekt Deutsch spricht. Er ist in Bukarest in die deutsche Schule gegangen und hat dort das deutsche Abitur abgelegt.
Wir fahren nun weiter nach Sapanţa zum fröhlichen Friedhof. Er ist inzwischen Weltkulturerbe, weil er wirklich einzigartig auf der Welt ist. Auf den einheitlich hellblauen Kreuzen sind die Menschen, die hier begraben sind, aufgemalt und dazu noch die Art wie sie ums Leben gekommen sind, z.B. ist ein Traktor abgebildet, wenn die Person einen tödlichen Unfall damit hatte. Der Mann mit einer Flasche am Mund hat wohl zu viel getrunken. Unter den Bildern ist dann noch in rumänischen Versen das Leben der Verstorbenen kurz skizziert. Ein wirklich beeindruckendes Gesamtkunstwerk.
Danach geht es weiter über Sighetu Marmației nach Vişeu des Sus. Nun befinden wir uns bereits in der Maramuresch. Wir übernachten im schönen Hotel Gabriela und bekommen vor dem Abendessen gleich einen 40-prozentigen serviert. Amerikanische Biochemiker haben übrigens herausgefunden, dass 10 bis 15 Minuten vor dem Essen angewendet, die Aufnahme von Nährstoffen aus der Nahrung fördert.
Am nächsten Tag, es ist bereits Dienstag, folgt ein weiterer Höhepunkt der Reise, nämlich eine Fahrt mit der Wassertalbahn, einer Schmalspur-Dampfeisenbahn in das wildromantische Wassertal. Es ist eine kurvige Strecke am Fluss Vaser entlang.
Das Wetter ist wunderbar, die Waggons sind an den Seiten offen, so haben alle einen tollen Blick auf die unberührte Natur. Nach einer Stunde hält der Zug an einer Wasserstation und wir haben die Gelegenheit auf ein Plumpsklo zu gehen. Da haben Manfred und ich uns wie bei der Oma in Billed gefühlt als wir als Kinder dort zu Besuch waren. Danach geht es weiter bis zur Endhaltestelle Paltin, wo uns Grillteller mit viel Fleisch, Miçi und richtige „Ranke“ Brot erwarten. Das waren keine fein geschnittenen Scheiben, sondern richtig große Stücke Weißbrot. So haben wir sie früher bei der Oma in Billed auch gegessen. Zum Essen gibt es dann noch getanzte rumänische Folklore von zwei jungen Paaren in Tracht.
Auch die Rückfahrt genießen wir sehr und haben dann noch Gelegenheit uns in Vişeu de Sus umzusehen. Es ist ein kleines verschlafenes Nest, in dem einst auch Deutsche gesiedelt haben, die sogenannten Zipser Deutschen. Sie waren aus der Zips in der Slowakei nach Rumänien ausgewandert.
Am Mittwoch fahren wir nach Sighetu Marmației und besuchen den Markt. Das ist der Zeitpunkt wo ich endgültig im Billed der 70er Jahre angekommen bin. Die alten Mütterchen an den Marktständen haben weite Röcke an und Kopftücher auf. Das Angebot war natürlich wesentlich reichhaltiger als früher in Rumänien. Wir können uns nicht satt sehen an Paprika, Pardeis, Kukruz, Krumbiere, Melone auf riesigen Stapeln, Vinete, Omorte, Brintze, Salami, Brot un weiße Bohne. Beim Bohnenkauf bei der Marktfrau kann ich nun meine vorher mühsam erworbenen Rumänischkenntnisse anwenden.
Jetzt geht es weiter ins Izatal, das für seine jahrhundertealten Holzkirchen berühmt ist. Als erstes besichtigen wir das Kloster Barsana, eine große, sehr schön gepflegte neugebaute Anlage, die durch Spenden finanziert wurde. Allgemein haben wir sehr viele neue oder noch im Bau befindliche orthodoxe Kirchen gesehen.
Die Spendenbereitschaft der Bevölkerung ist wohl sehr groß, denn eine Kirchensteuer gibt es in Rumänien nicht.
Danach fahren wir nach Bogdan Voda und besuchen die Holzkirche Sankt Nikolaus aus dem Jahr 1718. Sie ist innen komplett mit biblischen Motiven bemalt. Auch sie ist Weltkulturerbe, weil sie noch so original erhalten ist wie zu ihrer Bauzeit. Noch immer leuchten die Farben auf dem Holz wie am Anfang.
Auf der Weiterfahrt durch das Izatal fühle ich mich wieder zurückversetzt in eine schon lang vergangene Zeit. Die Menschen sensen mit der Hand, Pferdefuhrwerke kommen uns entgegen und die Leute fahren auf ihren schwarzen „Bizikle“ wie ich früher auch in Billed damit gefahren bin. Nur fahren diese Leute nicht aus sportlichen oder Freizeitgründen, sondern weil sie keine andere Alternative haben. Sie haben die Sensen oder Gabeln auf dem Rücken oder in der Hand, so wie einst in Billed.
Nun brauchen wir eine Kaffeepause, für die wir an diesem heißen Tag ein schattiges Plätzchen suchen. Deshalb halten wir an einer alten Bahnhaltestelle, bauen unsere Ausrüstung auf, da kommt ein alter Mann mit einer Sense auf uns zu und fängt an zu erzählen. Er war früher der Bahnwärter, heißt Ioan und ist 72 Jahre alt. Wir bieten ihm einen Kaffee an, den er aber nur annehmen will, wenn wir seinen selbstgebrannten probieren. Er geht rasch nach Hause und bringt seinen Schnaps mit. Er schenkt sich selbst zuerst ein, damit wir sehen, dass er in Ordnung ist. Dann bekommt jeder ein „Stampl“ voll eingeschenkt. Nun trinkt er auch von unserem Kaffee und erzählt weiter aus seinem Leben. Eine wirklich sehr anrührende und interessante Begegnung.
An diesem Abend gibt es dann zum Abendessen Mamalica und Sarmale und natürlich nicht zu vergessen.
Am Donnerstag geht es nun über den 1410 Meter hohen Prislop-Pass durch die beeindruckende Karpatenlandschaft hinein in die Bukowina. Dort wollen wir das Moldovița-Kloster besichtigen. Dieses Kloster ist eines von fünf Moldau-Klöstern, die allesamt zum Weltkulturerbe gehören. Die Kirche ist von einer Mauer umschlossen und innen und außen komplett bemalt. Gebaut wurde das Kloster 1532 und fünf Jahre später bemalt und das Verblüffende ist, dass die Farben wie eh und je leuchten.
Nur auf der Nordseite sind die Malereien durch die Witterungseinflüsse beschädigt. Die Nonne Tatjana führt uns über eine Stunde durch die Kirche und erklärt uns alle, aber auch wirklich alle Bilder auf Deutsch. Sie ist unterhaltsam, witzig und man merkt ihr ihr ungeheures Wissen und ihre Hingabe zu Gott an. Sie kann die Führung übrigens in sechs verschiedenen Sprachen abhalten und duldet keine Verzögerungen. Wenn jemand trödelt ruft sie „Wir sind hier bei einer Besichtigung und nicht auf einer Beerdigung“. Dann kaufen wir noch ein Bukowina-Ei, denn die Bukowina ist auch für ihre Ostereier und deren kunstvolle Verzierung bekannt.
Nun wartet noch die Moldovița-Schmalspureisenbahn auf uns. Es geht durch ein schönes Tal meistens direkt an der Straße entlang und so nah an den Gärten, dass man die Äpfel vom Baum pflücken könnte. Nach dieser netten Zugfahrt geht es weiter auf den Tihuța-Pass ins Dracula-Hotel in Piața Fantanele.
An den Ständen davor gibt es alles zu kaufen was man sich zu Dracula nur vorstellen kann: Dracula-Skelette, Dracula-Tassen, Dracula-Mützen, aber auch hochwertige rumänische Keramik und Folklore-Blusen. Nach dem Abendessen versammeln wir uns in einem kleinen schwach erleuchteten Raum im Keller. Dort erwartet uns eine als Dracula verkleidete Frau, erzählt ein bisschen was über Dracula und verkündet, dass als Höhepunkt im in der Mitte stehenden Sarg Draculas Überreste zu sehen sein sollen. Dazu wird es dunkel, es knallt, der Sarg geht auf und zu, und als das Licht wieder angeht ist der Sarg verschlossen. Eine witzige, kleine Dracula-Show.
Da der Dracularoman des irischen Schriftstellers Bram Stoker auch am Tihuța-Pass spielt, haben Touristen hier immer wieder nach den Spuren des Blutsaugers gesucht. Deshalb wurde dieses Hotel in den 80er Jahren hier gebaut. Der Roman selbst wurde schon 1897 veröffentlicht. Sein Autor aber hat den Erfolg des Romans leider nicht mehr erlebt.
Am Freitag geht es schon wieder Richtung Heimat. Wir fahren über Nordsiebenbürgen an Bistritz vorbei und machen noch eine Stadtrundfahrt durch Klausenburg. Eine lebendige im Zentrum schön hergerichtete Stadt mit vielen Restaurants und Kaffeehäusern. Man sieht viele junge Leute, denn Klausenburg hat eine große Universität.
Leider haben wir keine Zeit für einen Rundgang, aber einen Eindruck von dieser Stadt haben wir trotzdem bekommen.
Es geht weiter durch Siebenbürgen, wo wir noch viele, mal ehemals deutsche, mal ungarische Dörfer passieren. Und in Oradea verlässt uns unser Führer Terry, der uns sehr kompetent und kenntnisreich durch seine Heimat begleitet hat. Er hat auch all die Missstände angesprochen unter denen Rumänien immer noch leidet, aber uns auch die Schönheiten seiner Heimat näherbringen können. Nach einer Übernachtung in Budapest geht es am Samstag über Österreich wieder zurück nach Augsburg, dem Ende unserer Reise.
Für mich und meinen Bruder war es eine Reise in die Vergangenheit und für Sigi war es sehr interessant, weil er durch mich und meine Herkunft auch ein besonderes Interesse an Rumänien hat. Es war ein Abenteuer mit so vielen Eindrücken in nur einer Woche bei fantastischem Sommerwetter mit nur blauem Himmel und sommerlichen Temperaturen. Un de Zwetter han ich aa net gebraucht.