Der kleine Emil auf der Hochzeit

Eigentlich heiße ich ja Emanuel, aber die meisten meiner Freunde kennen mich unter dem Namen Emil. Mein Vater hieß eigentlich Emil, da aber mein Name Emanuel zum Rufen zu lang war, rief man mich einfach auch Emil. Um mich aber von meinem Vater zu unterscheiden, war er einfach „der große Emil“ und ich eben „der kleine Emil“. Später ließ man das „kleine“ weg und so wurde auch ich zum Emil.
Die kleine Geschichte, die ich Euch erzählen möchte, spielte sich zu der Zeit ab, als ich schon 19 Jahre jung war und man mich schon Emil nannte. Im Sommer 1979.

„Ewald, endlich bist Du da. Warte schon voller Ungeduld auf Dich. Hast Du die Kassette dabei?“
Ewald war der eine der beiden Lipp Zwillingsbrüder und Ewald konnte sehr gut tanzen.
„Ja, hab ich dabei. Konnte leider nicht früher kommen.“
„Gut, legen wir gleich los. Am Sonntag ist schon die Hochzeit.“

Mein Cousin, der Alfred Zacharias, hatte Ingrid und mich zu seiner Hochzeit eingeladen. Er heiratet am Sonntag, in Sanktandres, die Veronica. Und am Dorf war es so üblich, dass die Musikkapelle nicht nur Discofox spielte, sondern auch Tango, Walzer und Polka. Wenn wir daheim eine Party organisieren oder beim Dino (Adrian Cazan) zur Party sind, da gibt es die Stehblues (sehr beliebt bei den Jungverliebten), Discofox und Ähnliches. Kein Problem. Da kann ich wunderbar mithalten. Aber zum Tanz auf dem Dorf reicht das nicht. Und am Sonntag bin ich mit Lori auf der Hochzeit, da muss ich doch diese Tänze beherrschen, sonst tanzt sie womöglich noch mit einem anderen.

Ewald soll mir jetzt diese Tänze beibringen. Er kann gut tanzen, aber er beherrscht leider auch nur die Männerschritte. Er muss aber die Damenschritte tanzen damit ich die Männerschritte lernen kann. So legen wir los. Im Kassettenrekorder spielt die erste Polka. Und Ewald umschlingt mich und wir probieren die ersten Schritte.
„Na, so geht das nicht,“ Ewald wirkt leicht genervt, „du trittst mir ständig auf die Füße!“ Gut, weiter, am Sonntag muss ich die Tänze beherrschen, ich will ganz viel und eng umschlungen mit Lori tanzen.
Lori war der Traum eines jeden Jungen. Wunderbar gut gebaut und bildhübsch. Eine Augenweide. Und gerade ich war ihr Außerwählter. Da durfte ich mir keine Blöße geben.
Und Ewald und ich tanzen eng umschlungen, Polka, Walzer, Tango. Und wieder, Polka, Walzer und Tango. Gut dass Ewald so eine tolle Musikkassette hat.
Langsam komme ich in Schwung und Ewald beherrscht die Damenschritte schon ganz gut. Plötzlich geht die Zimmertür auf. Meine Mutti schaut uns aus großen Augen an: „Was macht denn ihr da?“
Ich schiebe Ewald schnell weg von mir.“ Nichts, äh, wir machen nichts.“ Peinlich, mein Gott, ist das peinlich. Ewald ist auch ganz rot im Gesicht.
„Äh, wir machen echt nichts. Nur so Musik hören und so.“ Ewald stottert auch nur rum. Was Besseres ist uns nicht eingefallen. Ich wollte ja auch niemandem zeigen oder sagen das ich Tanzunterricht nehme. War irgendwie nicht so populär. Man kommt ja als Alleskönner auf die Welt.
Mutti schmunzelt so ganz leise vor sich hin und zieht sich diskret zurück. Ewald ist leicht sauer: "Ich habe Dir doch gesagt, das ist keine gute Idee! Was denkt jetzt Deine Mutti über uns?!"
Aber gut, das tanzen klappte schon ganz gut und ich konnte den Sonntag kaum erwarten.
Es hat auch viel Mühe gekostet Loris Mutter Erlaubnis zu bekommen. Sie war da sehr streng und Lori durfte ja nie über Nacht weg. Nur dadurch das auch Loris Bruder Bruno mitkam, durfte Lori überhaupt mit mir auf die Hochzeit. Bruno sollte also mit Ingrid zur Hochzeit und ich mit Lori.

Mein Gott, noch drei lange Tage, dann ist es endlich soweit. Ewald hat zum Glück seine Musikkassette bei mir gelassen, und wenn ich ein bisschen Zeit habe, übe ich jede freie Minute. Ich stelle mir vor Lori im Arm zu halten und tanze drauf los wie Fred Astaire.
Nur noch zwei Tage. Ich freue mich schon so auf Sonntag. Das wird wunderschön. Was wird Lori wohl anhaben? Hoffentlich das hautenge weiße Kleid mit den großen schwarzen Knöpfen. Was wird Sie zu meinen Tanzkünsten sagen? Werde ich sie beeindrucken können?
Nur noch ein Tag. Der Samstag will und will nicht vergehen. Wie lange sich doch so ein Tag hinziehen kann.
Endlich, endlich. Es ist Sonntagmorgen und der große Tag ist da. Am Mittag fährt Vati uns vier nach Sanktandres. Das war auch gut so, denn wenn wir Lori abholen und Loris Mutter sieht meinen Vater, ist sie etwas beruhigter und kann mir nicht so viele „Beschränkungen“ aufbürden.
"Komm kleiner Emil, wir gehen am Vormittag noch schnell auf eine Fuchsjagd". Vati hat schon seine Jagdkleidung an.
"Ruf mich bitte nicht mehr kleiner Emil, das ist mir nicht recht. Bin schon erwachsen."
"Ja, Entschuldigung, ist mir nur so rausgerutscht."
Also gut, gehen wir noch schnell auf die Jagd. So vergeht die Zeit etwas schneller.
Ich ziehe auch meine Jagdkleidung an, meine Stiefel, und schon fahren wir zwei los. Ingrid will nicht mit. Sie will sich noch schön machen und für den Nachmittag vorbereiten.
Peter, unser Jagdhund ist aber dabei, er ist sehr wichtig, wenn wir die versteckten Fuchslöcher nicht finden, Peter findet sie immer. Er pointiert paar Meter davor und schaut wie gebannt zum Fuchsbau. Dann wissen wir wo zu suchen ist und können den Fuchs aus dem Bau treiben und hoffentlich erlegen.
Und schon sind wir auf dem Feld und gehen ganz leise und aufmerksam auf die Pirsch. Wir halten die Gewehre gespannt im Arm und beobachten Peter wie er das Gelände durchsucht. Da, da, plötzlich bleibt Peter stehen und pointiert. Vati und ich schauen uns an. Wir brauchen nicht viele Worte. Vati geht Richtung Fuchsbau und ich nehme das Gewehr in den Anschlag. Die Spannung steigt. Ist der Fuchs im Bau? Wird er gleich hervor schauen und die Flucht ergreifen? In welche Richtung wird er fliehen? Immer näher kommt Vati dem Bau. Und da, da, der Fuchs. Er schaut heraus und beginnt blitzschnell nach links weg zu laufen. Schon habe ich das Gewehr schussbereit, da entzieht sich der Fuchs meinem Blick in einer kleinen Mulde. Um ihn besser zu sehen und den Schuss anbringen zu können, laufe ich zwei, drei Schritte nach links, ja, jetzt habe ich ihn. Und während ich blitzschnell das Gewehr anlege, trete ich mit meinem rechten Fuß in ein weiteres Fuchsloch und knicke um.
Und da liege ich. Blass, erschrocken und mit schmerzendemm Fuß. Zum Glück ist das Gewehr nicht los gegangen, ein ungezielter Schuss kann viel Unheil anstellen.
Ja, und da liege ich, mit dem rechten Fuß im Fuchsloch und kann mich kaum rühren. Vati zieht mich hoch. "Alles gut? Hast Du Schmerzen? Kannst Du gehen?"
Langsam erhole ich mich vom Schreck. „Ja, alles gut. Aber gehen wir jetzt heim, mein Knöchel schmerzt und ich will mich noch etwas ausruhen vor der Hochzeit.“
Vati stützt mich und ich gehe mehr schlecht als recht zum Auto. Wir fahren heim. Zu Hause verschweige ich meine Schmerzen, nicht dass Mutti mir noch die Hochzeit ausredet.
Unten im Keller, wo mich keiner sieht, ziehe ich vorsichtig den Stiefel aus. Mein Socken ist blutdurchtränkt und der Stiefel ist innen auch ganz schön mit Blut verschmiert.
Also, wenn das jemand sieht, ist es mit der Hochzeit vorbei. Und den Tag mit Lori lass ich mir nicht nehmen. Also, schön still, die Socken zur Schmutzwäsche und ja nicht humpeln. Niemand darf etwas davon erfahren.

Im Badezimmer schneide ich meine Fingernägel und putze sie schön mit der Nagelbürste. Lori sieht es nicht gerne, wenn unter meinen Fingernägel Schmutz ist. Dann rasiere ich mich schön, wenn ich mein Gesicht an Loris Wangen drücke, soll es für sie ja angenehm sein. Meine Handuhr, eine schöne Raketa, darf auch nicht fehlen. Lori liebt, es wenn ich schon nicht mehr so kindisch dastehe. Sie ist ja mit ihren 19 Jahren schon sehr frühreif, ich humple da noch gewaltig hinterher.
Meine schönen Schuhe wollen nicht so leicht über meinen geschwollenen Fuß, aber in der großen Vorfreude auf den schönen Tag mit Lori, ist auch das kein Problem. Mutti verabschiedet Ingrid und mich. "Sag mal Emil, hast Du nicht zu viel Parfüm benützt?"

Wir fahren in die Eneasstraße, Lori und Bruno abholen. Sie erwarten uns schon am Tor. Ich habe Augen nur für Lori. Bildhübsch steht sie da. In dem schönen Kleid, mit etwas Lippenstift und schönen hohen Stöckelschuhen. Ich kann mein Glück kaum fassen. Habe Augen nur für sie. Sehe weder Bruno noch ihre Mutter. Ich antworte auch nur im Unterbewusstsein: "Ja, Frau Bradt, ich passe auf Lori auf. Ja, Frau Bradt, wir kommen auf direktem Weg heim und es gibt im Kulturheim auch keine Nebenzimmer. Ja, Frau Bradt, machen Sie sich keine Sorgen."
Vati lächelt nur so vor sich hin. Kleiner Emil, na das war mal.

In Sanktandres setzt Vati uns ab und fährt wieder heim. Alfred empfängt uns ganz lieb und Bruno und ich bekommen so einen kleinen Rosmareinast an den Anzug geheftet.
Ja, und dann marschieren wir auch schon los. Zu Veronica. Diese wohnt am anderen Dorfende und wir machen zusätzlich noch Umwege, um viele geladene Gäste in dem Umzug mit aufzunehmen. Lori hat sich bei mir eingehängt, Ingrid beim Bruno und so marschieren wir los. Ich liebe es, Lori an meiner Seite zu spüren, es gibt wohl nichts Schöneres auf dieser Welt. Und dann die bewundernden Blicke zu Lori, von der männlichen Jugend, und die neidischen zu mir. Oh Welt, bist Du schön.
Wusste gar nicht, dass Sanktandres so groß ist. So gerne ich auch Lori an meiner Seite spüre, mein Fuß macht mir immer mehr Probleme. Egal. Nur nichts zeigen von meinem Schmerz, den Tag lasse ich mir nicht vergraulen. Und wir marschieren und marschieren. Ja, will das denn kein Ende mehr nehmen?
Endlich sind wir bei Veronica, da wird eine kleine Rast eingelegt. Da gibts leckeren Kuchen und Getränke. Hauptsächlich Wein und Schnaps. Citro nur ganz wenige Flaschen. Und den Alkohol bin ich ja gar nicht gewöhnt. Aber so ein Gläschen Wein lindert doch den Schmerz im rechten Knöchel. Dass das ausgerechnet heute passieren musste. Zu ärgerlich.

Und wir marschieren zurück zum Kulturheim. Und der Weg kommt mir sehr lange vor. Lori darf nichts merken, zu sehr freue ich mich auf das Tanzen mit ihr. Sollte sie davon erfahren, könnte es passieren das sie aus Mitleid mit mir nicht tanzt. Also, Augen zu und durch. Auch der längste Weg findet mal ein Ende, wir sind im Kulturheim. Statt Tanz müssen wir jetzt alle erst mal an dem langen Tisch Platz nehmen und die herrlichen Speisen genießen. Und das Essen zieht sich in die Länge, und will kein Ende nehmen. Dann die ewig langen Ansprachen der Brauteltern, die verschiedenen Spielchen mit der Braut, ja, sagt mal, wisst ihr nicht, dass ich mit Lori tanzen möchte? Der Tag ist so schnell rum und wer weiß, wann Lori mal wieder die Genehmigung bekommt, mit mir auszugehen? Also mach mal hinne. Auf gehts. Je!
Endlich, endlich spielt die Kapelle und ich kann mit Lori aufs Parkett. Und sie liegt in meinen Armen wie eine Feder so leicht. Und im Klang der Musik bewegen sich unsere Körper und nähern sich immer mehr. Ich spüre ihren Körper, rieche den Geruch ihrer Haare und atme den Duft ihrer Haut ein. Mögen diese Minuten nie vergehen. Ich halte die Zeit an und versinke im Rausch meiner Sinne.
Lori bewundert meine tollen Tanzkenntnisse. Ich tanze wie Fred Astaire und kann gar nicht genug bekommen. Nur, dass die leider keinen Stehblues spielen. Und was gebe ich dafür. In einer kurzen Atempause rufe ich laut zur Kapelle: "Spielt mal einen schönen langsamen Blues!!!!"
Proteste der anderen: "Spielt mehr Polka!"
Und die Kapelle spielt mehr Polka. Ja, spinnen die? Ich liebe den schönen Walzer, da spüre ich viel von Lori. Auch noch beim Tango und beim Fox. Aber bei der Polka am wenigsten. Und ja, bei der blöden Polka, schmerzt mich mein Knöchel am stärksten. Und das immer mehr. Ein Vertuschen der Schmerzen wird immer schwieriger. Doch egal, koste es was es wolle. Mit Lori zu tanzen ist das Größte. Auf gehts. Ewald wäre stolz auf mich!
Und der Abend wird immer länger, ich bedauere, das ich mir keine Schmerztabletten mitgenommen habe. Zu viel Wein trinken möchte ich auch nicht. Der betäubt den Schmerz aber ich bin den nicht gewohnt und Lori hat mir schön gesagt, dass sie keine Betrunkenen liebt. Die widdern und eckeln sie an. Also keine gute Alternative.
Und wir tanzen und tanzen, ich bin bald am Ende meiner Kräfte. Es ist schon nach Mitternacht und ich schleiche mich heimlich auf die Toilette und sehe nach meinem Fuß. Ich kann mit dem Schuh nicht viel erkennen, also ziehe ich ihn aus. Es ist alles blutig und ich wasche mit kaltem Wasser den Knöchel ab. Das tut gut. Jetzt wieder den Strumpf an, aber oh jeh, ich komme nicht mehr in den Schuh. Sobald ich den Schuh ausgezogen habe, ist der Fuß und der Knöchel so richtig angeschwollen. Ein Anziehen des Schuhes war nicht mehr möglich. Völlig verzweifelt bin ich wieder zurück zu unserem Tisch und habe Lori gesagt, mein Fuß ist geschwollen, ich kann nicht mehr tanzen.
Na, glücklich war sie nicht gerade, ich glaube, sie hat das Tanzen mit mir auch sehr genossen. Wir waren ja jung und verliebt. Aber gut, dann genießen wir den Abend halt so.
Aber ich bemerke auch die vielen Blicke der jungen Männer, die jetzt ihre Chance gekommen sehen. Er tanzt nicht mehr mit ihr. Eine gute Gelegenheit, jetzt mal Lori zum Tanz zu nehmen. Gefahr droht. Aber das gönne ich diesen Widderlingen nicht. Eine Lösung muss her. Ein Nachhausegehen war leider nicht möglich. Der erste Bus in die Stadt war erst um 5 Uhr morgens. Was tun?
Da sehe ich Sepp, Joseph Zippel, einen Klassenkameraden, mit schönen, blonden, lockigen Haaren und blauen Augen. Eine Seele von einem Menschen. Der muss helfen.
Ich erkläre ihm meine Not und sage ihm, er ist der Einzige, der Lori zum Tanz nehmen darf. Einem anderen gönne ich dies nicht. Seppi strahlt über das ganze Gesicht. Und ich sehe den beiden zu. Wie schön und anmutig Lori tanzen kann. In ihren Stöckelschuhen, den Strumpfhosen und dem schönen kurzen Kleid, da kann man nur hinschauen und genießen.
Ich suche Blickkontakt zu Sepp. Er muss, ob er will oder nicht, er muss zu mir sehen. Und mit den Augen und mit den Händen gebe ich ihm zu verstehen, mehr auseinander, Du bist zu nahe an ihr. Und Sepp versteht. Bis ich wieder den Blickkontakt zu ihm suche. Und so geht das eine ganze Weile.
Es ist 5 Uhr morgens und wir fahren heim. Ich humple in einem Schuh und stütze mich auf Lori. Brunos Hilfe weise ich großzügig ab.

Wir machen in der Stadt beim Krankenhaus halt. Es geht einfach nicht mehr. Ich werde untersucht und mein gebrochener Knöchel kommt in einen dicken Gipsverband. Draußen wird es der Lori schlecht. Sie hat meinen Schmerz nicht wirklich mitbekommen. Ein bisschen stolz war ich schon. "Ein Indianer und ein Emil kennt keinen Schmerz!“
Das Schöne: Ich war für die nächsten zwei Wochen krank geschrieben. Der Knöchel braucht absolute Ruhe. Schule ade. Das war das Ganze wert. Passt.
Lori muss zur Schule. Gleich um 8 Uhr beginnt der Unterricht. Ich liege daheim, den Fuß schön nach oben gestreckt, auf zwei dicken Kissen. Das tut gut. Und meine Gedanken wandern zurück zum Kulturheim nach Sanktandres, wo ich so schön mit Lori tanzen konnte. Und sie spüren konnte und ihren Geruch einatmen konnte. Und ich döse so vor mir hin und träume so leise vor mich hin. Bemerke nicht, wie die Zeit vergeht.
Da schaue ich eher zufällig als gewollt auf die Zimmeruhr. Kurz vor ein Uhr. Um ein Uhr ist Loris Schule zu Ende. Und ich will sie doch bei der Schule abholen und sie nach Hause begleiten. Und wenn ich Glück habe, gibt sie mir sogar ihre Hand. Und dann spazieren wir gemütlich auch noch durch unseren Lieblingspark, kurz vor dem Lahovary, und da ist ja auch unsere Lieblingsbank, wo wir so gerne nebeneinander sitzen und die Zeit genießen. Aber wie mit dem Bein im Gips zur Lenau kommen? Und das in der kurzen Zeit?

Ich hatte so ein Rennrad. Ein Sputnik mit 7 Gängen. Mit dem konnte ich so richtig rasch radeln, im Nu wäre ich beim Lenau.
Mutti schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: "Ja, spinnst Du jetzt ganz? Wie willst auf das Rad? Nein, ich helfe Dir nicht! Du bleibst schön da. Willst Dein Bein ganz kaputt machen?"
Alles Lamentieren hilft nichts. Mutti muss mir auf das Rad helfen. Bin ich erst mal droben, will ich kräftig mit dem linken Fuß drücken, das rechte Bein wird geschont. Wird schon irgendwie gehen. Mutti hilft mir. Am Zaun halte ich mich fest.
"Du bist wahnsinnig. Bitte, tue das nicht!"
Aber alles Flehen und Bitten hilft nicht. Ich will um ein Uhr Lori abholen und mit ihr den Heimweg genießen. Was gibt es Schöneres auf der Welt?
Mutti schiebt mich leicht an und siehe da, es geht doch! Als ich um die Ecke biege, verliert Mutti mich aus den Augen.
Jetzt aber kräftig in die linke Pedale gedrückt. Gleich ist es ein Uhr und bis zum Lenaulyzeum muss ich erst mal kommen. Quer durch die ganze Stadt! Aber das Unheil erscheint schon an der ersten Querstraße. In meinen Gedanken war ich schon bei Lori, aber das laut hupende Auto hat mich in die Realität zurückgerissen. Ich bremse so stark es nur geht und komme kurz vor dem stark abbremsenden Auto zu stehen. Ich will mein rechtes Bein runter geben zum Abstützen, da fällt mir mein Gipsbein ein und ich verlagere mein Gewicht schnell nach links. Will das linke Bein runter stellen. Zu spät. Schon falle ich um, lande unter dem Auto, aber zum Glück, vor den bereits stehenden Rädern.
Der Fahrer springt aus dem Auto, zieht mich unter dem Auto raus und spürt mein Gipsbein.
Ich sehe sein erstauntes, dann sein ungläubiges und dann sein böses Gesicht: "Ja, bist Du wahnsinnig? Bist Du nicht mehr bei Trost? Was fällt Dir ein, mit einem Gipsbein Fahrrad zu fahren? Bist Du verrückt?"
Und während er so vor sich hin schimpft, stammle ich meine Antwort: "Ich wollte doch nur zur Lori!"




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